Wow – ich brauchte ein paar Tage, um das Stück in Worte zu fassen. Und ob es mir gelingt, da bin ich mir nicht sicher… Aber irgendwie ist in mir der Drang ein paar Worte „aufs Papier“ zu bringen, sonst lässt es mich vermutlich nicht los… Ich war ein bisschen sprachlos nach dem Ende des Stücks. Wegen dem Ende. Direkt nach dem krassen Ende von „Die Verlorenen“ waren so viele Emotionen in mir, die ich nicht in Worte fassen konnte. So viel „wow“, „krass“ und „echt jetzt?!“. Ich werde euch das Ende nicht verraten, ihr müsst euch das Stück ja ansehen. Aber es hat mich echt ein bisschen geschockt, weil ich auch nicht damit gerechnet habe. Als das Licht anging, war ich völlig überrumpelt.

Vielleicht mal von vorne und zum Inhalt des Stücks. Die Protagonistin Clara befindet sich gerade in einer Krise und weiß nicht mehr so genau wohin sie will und wer sie ist. Was sie vom Leben erwartet. Sie ist einsam in dieser Welt und auch einsam in sich. Eigentlich ist jede Figur in diesem Stück einsam und auf ihre eigene Weise allein und verloren, es scheint nur einigen bewusster als anderen zu sein, einige flüchten vor sich selbst in Beziehungen, andere in Gesellschaft. Clara wählt das einsame Haus ihrer Großmutter im Wald – fernab der Stadt, und hofft dort sich selbst zu finden. Also kündigt sie ihrem Ex-Mann Harald und dessen neuer Frau, dies an. Bei den beiden lebt Florentin, Claras und Haralds Sohn, zu dem irgendwie auch der Kontakt verloren zu gehen droht. 

In der Nachbarschaft des Hauses befinden sich nur noch eine Tankstelle und eine Disco – vor allem die Tankstelle wird zum Ort der Begegnung, wo Klatsch und Tratsch ausgetauscht wird, wo aber auch übers Leben und Sterben diskutiert wird. Die Szene, in der über die Hirschkuh philosophiert wird, hat mich irgendwie an den Patronus aus Harry Potter erinnert. 

Da Claras Familie das Haus so lange nicht genutzt hat, hat es sich dort Kevin gemütlich gemacht. Kevin, ein junger Mann aus dem Ort, hat ein paar Anpassungsschwierigkeiten in der Gesellschaft und ist somit auf andere Art und Weise ein Ausgestoßener, ein Verlorener. Auch wenn Clara und Kevin viele Jahre trennen, besteht zwischen ihnen eine große Anziehungskraft, eine Verbundenheit und Verständnis für den jeweils anderen, sodass die beiden sich näher kommen. Diese Verbundenheit, aber auch ihr Ringen um Nähe und Distanz wird mit dem Element des Tanzes wunderbar dargestellt. Kevin war für mich die Person, die am meisten innere Stärke hatte, der als einziger in der Lage schien, aus eigener Kraft aus der Situation hinauszufinden. 

Die eigentümliche Sprache des Stücks, in der immer wieder Wörter verloren gehen, der Satzbau geändert ist und vieles nur halb gesagt wird, wo auch durch Auslassungen Informationen transportiert werden, schafft eine ganz besondere Atmosphäre zwischen den einsamen verlorenen Figuren und zwischen Publikum und Bühne.

Anfangs fand ich es seltsam, dass der Sohn Florentin nur durch einen flackernden Fernseher als anwesend dargestellt wird, dass seine Stimme nicht gehört wird, er nur durch die Erzählungen und Reaktionen der anderen existiert und lebt. Aber mit diesem krassen Ende jedoch, gibt auch das für mich Sinn. Er ist der verlorenste von allen, so verloren, dass er nicht mal auf der Bühne existiert. Vielleicht ist das alles auch zu viel interpretiert, dazu neigen wir KunsthistorikerInnen laut Aussage einiger Historikerkollegen ja angeblich. Aber das waren so die Gedanken, die mir so kamen im Nachhinein, als ich das Stück habe sacken lassen und darüber nachgedacht habe. 

Die Figuren auf der Bühne berichten und kommentieren das Geschehen teilweise und fungieren so als ErzählerInnen, um das, was man nicht sieht, mitzuteilen. Und so entstehen viele Bilder und Szenen erst im Kopf der Zusehenden. 

Auch wenn es streckenweise für mich ein anstrengender Stoff war, musste ich an manchen Stellen wirklich lachen. Das reduzierte, monochrome Bühnenbild fand ich super, weil es nochmal die Zerrissenheit und das Verlorensein der Figuren unterstreicht. Die Kegellampen, die den Wald darstellen, wenn sie von der Decke nach unten gelassen werden, bis nur noch ein paar Zentimeter über dem Boden schweben, fand ich eine tolle Idee. 

Der Beginn des Stücks, wo auf einer fast komplett dunklen Bühne nur die Stimmen der SchauspielerInnen zu hören waren, die immer wieder fragen, ob das jemand ist, erinnerten mich ein bisschen an den Chor im antiken Theater. Und am Ende stellte sich mir die Frage, ob nicht wir ZuschauerInnen die eigentlich Verlorenen sind. Verloren in unseren Gedanken, Hoffnungen, Ängsten, in uns selbst? In unseren Verpflichtungen, Beziehungen, in Nähe und Distanz?

Direkt am Ende des Stücks habe ich mich auf jeden Fall ein bisschen verloren gefühlt. Und das Licht ging mir zu schnell an, die Realität kam zu schnell wieder. Ich hätte noch ein paar Minuten Dunkelheit gebraucht in diesem Theatersaal, allein und doch nicht, um das Ende zu verdauen. 

Wie gesagt, vielleicht ist das alles zu viel hineininterpretiert, aber das waren so die Gedanken, die mir zu dem Stück kamen. 

Alle Fotos: Ilja Mess fürs Theater Konstanz